Mit Liebe und Respekt
GENUSSMANUFAKTUR

Zugegeben, der Reporter zweifelt: eine Schlachterei? Im Kopfkino tauchen Bilder von ratternden Fließbändern, kreischenden Maschinen und gestressten Tieren auf. Im Akkord zerlegen Menschen Tiere, die weder Weide noch Sonne kannten und jetzt zu Filets, Wurst und Gulasch werden. Beim Stichwort Schlachten kollidiert Spaß am Genuss mit schlechtem Gewissen und Vorurteilen.
Kopfkino aus, Realität an: In Tobias Vojes Stahlbroder Naturgut GmbH ist alles anders. Keine Hektik, kein Lärm, keine industrielle Anonymität. Keine Chemie und keine industriellen Gewürzmischungen. Keine Laster, die im Stundentakt Schlachtvieh ausspucken, deren Bestandteile am Ende in Supermarktregalen landen. Im Gegenteil, fast wirkt die Atmosphäre auf Tobias Vojes Hof idyllisch: Unter freiem Himmel räkeln sich Rinder um eine Raufe, andere stöbern im frischen Stroh. Auf dem Hof viel Holz, viel Glas, ein Verkaufsraum mit Rouladen, Roastbeef und Rindersalami in Bio-Qualität, freundliche Atmosphäre. Vom Hof schweift der Blick des Besuchers über die noch winterliche Landschaft zum nahen Bodden. Erste Kraniche ziehen kreischend über den Hof. Fast könnte man angesichts der Stille vergessen, dass hier ebenso hart wie besonnen und nachhaltig gearbeitet wird. Schneller, größer, effizienter: dergleichen ist Tobias Voje – schwarzes Shirt, verschmitztes Lachen, norddeutscher Zungenschlag – wurscht. Das Wohl seiner Tiere lässt den 34-Jährigen hingegen keineswegs kalt.

Herr Voje, von hier bis zur Insel Öhe sind es rund 65 Kilometer. Wie nah ist Ihnen die Insel, Mathias Schilling und seine Philosophie?
Möchten Sie einen Kaffee?
Gerne. Und eine Antwort. Da muss ich anders anfangen. Was wir bei der Stahlbroder Naturgut GmbH machen, hat ja eine Vorgeschichte.
Also von vorn: Lokführer, Ingenieur, Computer-Spezialist – ich kann mir kaum vorstellen, dass Schlachter, Fleischer oder Metzger zu den Traumberufen eines Jungen zählen. Wie war’s bei Ihnen?
Genauso. Aber ich komme vom Land, wuchs mit meinem älteren Bruder in Murchin auf, wo ich heute noch lebe. Zur Schule bin ich in Rubkow gegangen. Aber Schule war nicht meine Lieblingsdisziplin. Nach der Schule habe ich eine Ausbildung zum Fleischer, Fachrichtung Schlachtung gemacht. Kein Traumberuf, sondern zunächst ein Job.
Wie war die Ausbildung?
Konventionell, industriell, am Fließband. Pro Tag wurden bis zu 2.600 Schweine und 600 Rinder geschlachtet und zerlegt. Da lernt man fachlich viel, Respekt vor den Tieren lernt man nicht. Den hatte ich aber. Daher war mir bald klar: Das möchte ich nicht mein Leben lang machen. Mir war auch klar, warum Teile der Fleischindustrie so ein negatives Image haben. Wobei die Fleischer Teil in einem Kreislauf aus Massentierhaltung und gewissenlosem Konsum sind.
Sie wollten aus diesem Kreislauf raus?
Exakt. Der Erkenntnis folgten einige Umwege. Ein Jahr arbeitete ich mit einem Bekannten im Bereich Solartechnik. Danach, ab 2010, spezialisierte ich mich auf Viehaufkauf, fuhr über die Dörfer, sprach mit den Landwirten. Nicht allen ging es um Masse, Masse, Masse. Eine wichtige Erkenntnis für mich: Viele Landwirte suchen Alternativen zur Massentierhaltung und zur industriellen Schlachtung. Auch ich war auf der Suche. Beim Ankauf von Kälbern, aber auch bei Hausschlachtungen, die ich machte, war mir bewusst, was für wunderbare Tiere Rinder sind: ehrlich, schön, anhänglich, charaktervoll …
Tatsächlich, Tobias Voje gerät ins Schwärmen. Das könnte bei anderen aufgesetzt oder wie kluges, aber durchschaubares Marketing wirken. Tobias Voje nimmt man die Hingabe hingegen ab, weil sie durch Lebenserfahrung gedeckt ist. Nach seinem Ausstieg aus der industriellen Schlachterei spezialisierte er sich auf Hausschlachtungen bei benachbarten Landwirten – letztlich für ihn ein existentielles Risiko. Er kümmerte sich auch um sogenanntes „Freibankvieh“ (ein fast schon vergessenes Wort, mit dem traditionell Tiere bezeichnet werden, die nicht für die Schlachtung vorgesehen waren, aber zum Beispiel wegen eines Unfalls geschlachtet werden müssen). Mit einem mobilen Notschlachtwagen fuhr er zu solchen Tieren.
Ein anderes Beispiel für Tobias‘ großes Herz heißt Helene. Er kaufte sie als acht Monate altes Kalb einem Landwirt ab, ließ sie leben und erfreut sich noch heute an ihr. Schlachten würde er sie niemals – wie er auch von den eigenen Hühnern und Enten die Finger lässt.

Inwiefern?
Wir haben uns vor etwa einem Jahr kennengelernt. Ich sah sofort: Seine Tiere wachsen genauso auf, wie ich es mir wünsche. Das Wohl der Tiere steht für uns beide ganz oben. Das betrifft nicht nur das Aufwachsen, auch den Transport: Mathias‘ Tiere kommen alle einzeln, per Anhänger hierher. Das bedeutet möglichst wenig Stress. Eine solche Einstellung, auch Ehrlichkeit und Transparenz – wir liegen auf gleicher Wellenlänge.
Keine Selbstverständlichkeit?
Der Anspruch ist schon besonders. Jedes Gramm Fleisch, das wir hier verkaufen, wurde von mir sortiert. Ich suche jedes Tier bereits auf der Weide aus. Nicht nach Alter, sondern ausschließlich nach Qualität und Wohlbefinden. Auch wenn es seltsam klingen mag, auch und gerade beim Schlachten, Zerlegen und Verarbeiten steht das Wohl der Tiere an erster Stelle. Wir arbeiten professionell, hochkonzentriert, pflichtbewusst und mit einer gewissen Demut.

Und das schmeckt man?
Absolut. Das bislang schönste Kompliment bekam ich von zwei Vegetariern. Unser Konzept hat sie so überzeugt, dass sie Wurst probierten und schwach wurden. Inzwischen kaufen sie regelmäßig Wurst und Fleisch – aber nur bei uns.
Verändert sich das Verhalten der Konsumenten?
Natürlich kenne auch ich Leute, die ihr Fleisch so billig wie möglich im Supermarkt kaufen. Aber immer mehr Menschen essen lieber weniger, dafür Qualitätsfleisch und -wurst wie die unsere. Neben der Qualität und dem Bewusstsein für optimale Haltung wird auch Transparenz bewusster wahrgenommen. Nicht zuletzt deshalb sind wir ein gläserner Hof: Jeder und jede kann uns jederzeit besuchen und uns über die Schulter schauen. Das Ergebnis ist Vertrauen. Nur beim eigentlichen Töten sind keine Zuschauer erlaubt – das sind wir dem Respekt vor den Tieren schuldig.
Wir – das ist die Bio-Manufaktur NaturGut GmbH. Am Ende sind Sie doch Ihr eigener Chef geworden.
Ein Sprung ins kalte Wasser?
In gewisser Weise: ja. Als wir 2021 anfingen – mitten im Corona-Chaos – hatte ich wenig Ahnung von Betriebswirtschaft, Buchhaltung und dergleichen. Aber ich habe tolle Mitarbeiter und seither viel gelernt.
Wer sind Ihre Kundinnen und Kunden?
Menschen, die in unserem Hofladen und online bei uns kaufen, Bio-Märkte, zunehmend auch die Gastronomie. Durch den engen Kontakt zu unseren Kunden bekommen wir viel Rückmeldung. Dieser persönliche Kontakt liegt mir besonders am Herzen. Ich möchte nicht nur Qualität verkaufen, sondern auch eine Haltung vermitteln: Esst weniger, aber bewusster Fleisch, mit Respekt und Genuss.