Hiddenseer Kutterfisch
Der Netz-Werker
Steife Brise aus Südwest, Schaumkronen auf dem Bodden, Sturmwarnung im Radio. Wer Fischer Steffen Schnorrenberg im Hafen von Vitte auf Hiddensee besuchen möchte, sollte kein Warmduscher sein und Zeit im Gepäck haben. Eine gute Stunde braucht die heute ziemlich schwankende Fähre vom Anleger im Schaproder Hafen – vis-a-vis der Insel Öhe auf der einen und Schillings Gasthof auf der anderen Seite – bis nach Vitte.
Hier liegt Steffen Schnorrenbergs Kutter „Anna Lena“ fest vertäut am Kai, des Sturmes wegen. Der Kapitän ist nicht an Bord. Er sitzt ein paar Meter weiter vor einem windgeschützten Schuppen, stabiles Netzgarn in der einen, eine zu reparierende Reuse in der anderen Hand. Nebenan qualmt ein kleiner, gerade angeheizter Räucherofen. Die Szene wirkt romantisch und ein wenig aus der Zeit gefallen – bis Steffen Schnorrenberg ins Reden kommt. Das dauert bekanntlich bei Insulanern eine Weile. Doch dann erzählt er spannend, was ihn mit Mathias Schilling verbindet, warum traditionelle Fischerei und modernes Marketing sich nicht beißen und wieso regionaler Fisch für Feinschmecker ein toller Fang ist.
Herr Schnorrenberg, was haben Sie und Mathias Schilling gemeinsam?
Den 2. August – unseren Geburtstag. Ich wurde allerdings 1971 geboren.
Hier auf Hiddensee?
Ja, mein Vater kam aus Berlin, wo ich auch zeitwei- se aufwuchs, aber meine Mutter stammt aus einer alten Fischer-Familie hier auf der Insel. Mein Onkel war Fischer, mein Opa auch. Als Junge fuhr ich mit Opa raus auf den Bodden und lernte von ihm, wie man mit Netzen und Leinen umgeht. Später, als ich schon gestandener Fischer war – ich hatte 1990 meine Lehre als Vollmatrose der Hochseefischerei in Sassnitz abgeschlossen – und Opa über 80, fuhr er mit mir auf meinem Kutter mit. Fischerei ist für uns nicht nur Beruf, sondern Leben. Auch wenn meine Frau meint, dies sei das teuerste Hobby der Welt ...
Wie kommt Ihre Frau denn darauf?
Ständig strengere EU-Fangquoten und die Ausdehnung von Schutzgebieten graben uns Küstenfischern das Wasser ab.
Nicht falsch verstehen, auch wir sind für Natur- und Artenschutz. Schließlich leben wir vom Fisch und wollen unsere Lebensgrundlage nicht kaputt machen. Aber etliche Gesetze und Richtlinien entstehen am Schreibtisch, ohne Kenntnisse der Bedingungen vor Ort. Wenn es so weiter geht, sind wir irgendwann Fischer ohne Wasser. Dann können wir vielleicht ab und zu eine Angel auswerfen, als Hobby. Leben können wir davon nicht ...
Haben Sie denn ein Hobby?
Nein, wozu? Ich habe den schönsten Beruf der Welt. Diesen möchte ich leben.
Die Wellen schlagen hoch. Steffen Schnorrenbergs Kollegen, auch sie gestandene Fischer, nicken zustimmend. Weil der West-Wind noch immer kräftig pustet, treffen sie sich mit Steffen Schnorrenberg an Land zum Reparieren, Räuchern und Reden.
Einig ist man sich im Kopfschütteln über Fangquoten und Auflagen, die am Alltag der Küstenfischer vorbei gehen. Die Zahlen geben ihnen recht: Ende der 1980er Jahre,als Steffen Schnorrenberg seine Ausbildung begann, gab es auf Hiddensee rund 60 Fischer, die, zu einer Fischereiproduktionsgenossenschaft (FPG) zusammengeschlossen, von ihrer Arbeit gut leben konnten. Alles war bestens organisiert: Preise, Fang, Fischaufkauf, Vermarktung.
Heute ist die einstige FPG aufgelöst. Die wenigen Fischer, die heute mit ihren kleinen Kuttern die Küsten rund um Hiddensee befischen, kämpfen gegen Bürokratie und die Konkurrenz riesiger Trawler. Während diese schwimmenden Fischfabriken oft monatelang auf See sind, in riesigen Mengen Fisch aus den Tiefen der Meere holen und bereits an Bord verarbeiten, sind die Hiddenseer Küstenfischer Hand-Wer-ker im besten Sinn. Ihre traditionellen Fangtechniken etwa mit Reusen und Stellnetzen, das Wissen um die besten Fanggründe, der sorgsame Umgang mit dem Fang, der ihr Kapital ist, wurden bei den Hiddensee-Fischern von Generation zu Generation weitergegeben.
Auch Steffen Schnorrenberg würde es gerne so halten.
Herr Schnorrenberg, Sie sind über 50.
Wenn Sie eines Tages von Bord gehen, wer übernimmt das Steuer?
Als ich Kind war, sagte mein Opa oft: Wenn du groß bist, gibt’s hier keine Fischer mehr und keinen Fisch. Ich habe damals geantwortet: Opa, der Fisch wächst doch immer nach.
Heute weiß ich, dass das so nicht stimmt. Natürlich müssen Fische auch geschützt werden. Das verlangt von uns Umdenken. Gleichzeitig brauchen wir Küstenfischer eine Perspektive. Mein Sohn – ich habe zwei erwachsene Töchter und einen Jungen – ist heute 14. Natürlich fährt er schon manchmal mit mir raus.
Er liebt den Bodden, die Boote, das Abenteuer auf See, die Arbeit. Sie ist hart und schön.
Wie sieht Ihr Alltag aus?
Das kommt auf Wetter und Jahreszeit an. In jedem Fall beginnt der Tag früh, um 4, manchmal um 5. Dann fahren mein Kollege Ingmar Teusing und ich raus. Auch nach all den Jahren ist jeder Tag ein neues Abenteuer.
Wenn wir morgens an Bord gehen, ist es, als ob wir eine neue Seite in einem Buch aufschlagen. Das Wetter, der Wind, die Jahreszeit, alles wechselt. Es ist immer eine Überraschung, was in den Netzen ist. Das wissen wir spätestens am Mittag. Leider gehört heute auch viel Papierkram zum Job. Und natürlich die Sorge satz und den Verkauf der Fische. Was wir frisch von Bord im Hafen von Vitte an Gäste verkaufen, reicht nicht.
Auch deshalb war die Begegnung mit Mathias Schilling ein Glücksfall.
Wie kam es dazu?
Vor einigen Jahren, es war wohl 2015, hatte ich im Hafen von Schaprode Fisch angelandet. Die Rückfahrt am selben Tag lohnte nicht, also schlief ich an Bord und ging abends in Schillings Gasthof. Mathias Schilling und ich kamen ins Gespräch. Er kaufte ja schon den Fisch für sei- nen Gasthof bei uns. Wir waren schnell einig, dass wir Küstenfischer eine Perspektive brauchen, die nachhaltige Fischerei und kluges Marketing verbin- det. Nur wenn das gelingt, haben wir Zukunft und bekommen auch Nachwuchs.
Klingt logisch. Aber wie kann das gelingen?
Mathias Schilling hatte die Idee, den Verein Hiddenseer Kutterfischer e.V. zu gründen. Der Gedanke „gemeinsam sind wir stark“ ist nicht neu, die Hiddenseer Fischer haben sich schon vor Jahrhunderten zu Partien, also Fanggemeinschaften,zusammen getan und Hand in Hand gearbeitet.
Neu ist, dass wir uns unter der Marke „Hiddenseer Kutterfisch“ mit Unterstützern aus der Region verbinden, um unseren traditionell gefangenen Fisch in die Dose und ins Glas zu bekommen. Regional verarbeitet und mit natürlichen Zutaten. Jetzt sind wir also Netz-Werker im doppelten Sinn. Mein Opa hätte dies wohl nicht für möglich gehalten. Mir gibt es Hoffnung für die Zukunft.